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Bilderatlas Koyaanisqatsi

Unscheinbar im Gras windet sich Poison Ivy. Unachtsame, die mit ihr in Berührung kommen, plagen Hautausschläge. Seit der Kolonialisierung gefürchtet, wird sie bekämpft und verdrängt. Trotz allem überlebt sie. Wie die Native Americans, die mit ihr Körbe herstellten und Textilien färbten. Stephan Wittmer macht daraus ein Piktogramm, das uns vor schmerzhaften Folgen warnt. Ein Symbol für das materielle Ineinandergehen von Aussen und Innen durch den intensiven Zwischenraum der Haut. Eine Ikone für alles Verachtete, Verdrängte & Verworfene. Für  (Sur)vivance, Survival & Endurance/ Resistance. Vor der Pandemie reiste er jedes Jahr mit der Künstlerin Pat Treyer in die USA. Unter anderem auch in die Reservate der Hopi in Arizona. Zurück kommt er mit Bildern und Objekten, die Gewöhnliches zeigen, aber nicht verklären. Material Culture, unreine Natur und das unromantisch Nomadische – Themen, die Stephan Wittmer mit feinem Gespür für Flüchtiges und Abseitiges einfängt und mit lapidarer Geste ausstellt. Die Werke wirken manchmal zufällig, dahin geworfen und banal, besitzen aber immer wieder einen skurrilen Humor. Ihre sinnliche Tiefe jedoch erhalten sie erst durch ihren ikonologischen Zusammenhang.


Michel Rebosura



Der Fotokünstler erschafft Bilder – an der Wand, im Raum und in uns selbst. Er erzählt Geschichten und erzählt sie doch nicht zu Ende. Eigene und fremde Wahrnehmung verschmelzen und finden gerade im symbiotischen Einklang ihre Verschiedenheit wieder. Das Medium selbst, die Fotografie wird hinterfragt. Sichtbares wird zu Unsichtbarem, wird zu Sichtbarem. Woher kommen die Bilder, wohin gehen sie.

Stephan Wittmer ist nicht nur Fotokünstler. Seine Bilder werden Objekte, werden Körper, werden Raum. Das Digitale wird Physis. Klassische Pigmentdrucke stehen alltäglichen Gegenständen gegenüber. In seinen Arbeiten spannt sich eine Brücke auf – zwischen Entfremdung und Versöhnung. Kreisläufe und Synchronizitäten werden zur Parametern einer feinstofflichen Suche nach dem (Un-)Möglichen.

Im Raum für Kunst B74 in Luzern, können wir geistig auf Reisen gehen: ins indigene Amerika. Ursprüngliche Steinbauten mitten in der Wüste. Erde, Himmel, Wolken. Das Reich der heiligen Schlangen. Alles als Bild auf Plüschdecken gedruckt. An ihren Ecken halten grosse Klammern den Stoff, zusammen mit zerdrückten Blechdosen, an der Wand fest. Sie erscheinen wie Relikte einer neuen Materie und zugleich eines vergangenen Seins. Mythen und Magie eines Ortes treten aus der Tiefe an die Bildoberfläche. Der Künstler erfasst sie und lässt sie wieder abtauchen, gibt sie so dem Ort, den er aufgenommen hat, wieder zurück. Aber die Kraft der Bilder bleibt an der Membran des Bildträgers haften. Der Blick fungiert als selbstständiger Stimmungsgenerator im Raum. Sinnlichkeit trifft auf nüchterne Studie. Stephan Wittmer holt die Entwicklungsgeschichte vom Ursprung eines Volkes bis zu ihrer Zerstreuung in die Gegenwart hinein. Dabei dehnt sich das Festhalten eines Moments bis an seine äussersten Grenzen. Inhalte und ihre Verkörperung, ihr Substanzwerden bewegen sich hierfür in einem konstanten Wechselspiel.

Gleichzeitig debattieren die Werke das Phänomen der Sinneswahrnehmung. Die Berührung des Körpers wirkt stark und konkurriert mit dem, was wir sehen. Was machen Bilder mit uns, wie berühren sie uns? Wo werden sie Materie und wann werden wir Emotion?

Da gibt es zum Beispiel dieses giftige Efeu, das die Oberfläche reizt und die Haut angreift. Eine fremde Zone wird betreten. Der Künstler sensibilisiert unsere Wahrnehmung und entwirft ein Zeichen. Die Grenze verläuft irgendwo da, wo wir anfangen, nach Aussen zu fühlen.


Valeska Marina Stach


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